Braucht man einen Allrad am Wohnmobil

Braucht man einen Allrad am Wohnmobil

11. November 2020 27 Von Mikesch

Eine Frage, die immer öfter in Foren auftaucht:

…sind am überlegen, ob wir unser neues Wohnmobil mit oder ohne Allrad bestellen sollen.

Wer plant, in wirklich unwegsamen Gelände OffRoad, Gefilden mit Flussdurchfahrten und tiefer Matsche oder Sand unterwegs zu sein, der erwirbt gleich das entsprechende Expeditions-Mobil, welches auch  ansonsten richtig ausgerüstet und technisch dazu konzipiert ist!
Diese Fahrzeuge haben, mit großen Rädern ausgerüstet eine hohe Bodenfreiheit, kaum Überhang für einen großen Böschungswinkel, kurzen Radstand für einen großen Rampenwinkel, die Aufbauten vertragen Verwindungen und verfügen über drei Differentialsperren.

Zielgruppe der Allrad-Fahrzeuge von Sprinter, VW, Iveco & Co.

Allerdings gibt es die Gruppe der Wohnmobilisten, wie auch ich, die kein Expeditionsmobil ihr eigen nennen (wollen), aber trotzdem mal die eingefahrenen Wege verlassen möchten.
Matschige Passagen, mal eine kleine Furt, der steile Feld- oder Schotterweg, Schnee und auf jeden Fall die Sicherheit, von der tiefen matschigen Wiese wieder herunter zu kommen. Nur für die ist die Frage interessant, denn der Mehrpreis für den Allrad ist ja auch nicht ohne.
Die Wohnmobile, zumeist Sprinter Kasten, Individuelle wie Bimobil, Wölcke etc. liegen vom Einsatz her irgendwo zwischen den üblichen Wohnmobilen und den Expeditionsfahrzeugen. Sicher, richtig modifiziert mit Fahrwerken mit Allrad von z.B. Iglhaut oder Oberaigner und die Iveco sind auch die Kleineren teilweise bis richtig OffRoad-tauglich, aber die gehören ja nicht in diese Zielgruppe.

Der Allrad des Sprinters, eine Besonderheit

Den Allrad des Sprinters nenne ich gerne Spielzeugallrad, da der keine Sperren hat. Das wird über das Elektronischen Traktions-System 4ETS geregelt. Die Umdrehungen der Räder werden über das ABS erfasst. Dreht sich ein Rad schneller, wird dieses abgebremst und die Kraft auf die anderen Räder übertragen. Das hat laut einiger Berichte in Foren und nach meiner Erfahrungen aber so seine Tücken. Sobald 1 Rad im Stand, z.B. Sand, keinen Grip mehr hat und durchdreht, bewegt man den Sprinter kaum noch. Damit kommt die Elektronik nicht klar, sie benötigt die Umdrehungen aller Räder. Ein Einbuddeln ist vorprogrammiert.
Aus diesem Grund ist der Allrad des Sprinters für den richtigen OffRoad-Einsatz nicht wirklich geeignet.  Auf Grund der kleinen Räder ist das Mehr an Bodenfreiheit auch nur bedingt nutzbar, da das Differential gerade mal ca. 18cm über den Boden liegt. Ebenso stellen die Zwillingsreifen auch nicht die optimale Bereifung dar. Muss die Elektronik viel regeln, können die Bremsen heiß laufen, mal den erhöhten Verschleiß außer Acht gelassen. Dieses Problem haben wohl alle elektronisch geregelten Allrader.
Darum bewegt man sich mit dem Sprinter auch nicht in Terrain, wo man einen “richtigen” Allrad benötigen könnte. Bleibt aber für diese/unsere Zielgruppe trotzdem interessant, da wir uns ja nicht in schweres Terrain bewegen wollen, sondern nur die etwas anderen Wege und dafür reicht der Allrad alle Male.

Man erhält ja nicht nur Allrad…

Gemein ist den Fahrzeugen, dass sie über deutlich mehr Bodenfreiheit verfügen, auch wenn Gelenkwellen und Differential nicht gerade hoch liegen und je nach Bauform ein ordentlich befahrbarer Böschungswinkel möglich ist.
Der Sprinter ist zudem mit Stabis, Schlechtwegepaket und Untersetzung ausgestattet, dürfte beim Iveco nicht anders sein.

Bisherige Erfahrungen:

Bild Stellplatz Haren

Stellplatz Haren, ohne Allrad 🙂

Die Wiese aus Pampe, das geht mit Heckantrieb und ggf. Hinterachssperre auch ohne Allrad. In der Regel war ein Allrad nicht notwendig, das wird ebenso für die Iveco- oder anderer Fahrzeuge ähnlicher Bauart gelten.
Ich war in meinem Leben schon viel mit Allrad-Fahrzeugen unterwegs, wirklich gebraucht hatte ich den Allrad nur wenige Male. 
Gebraucht hatte ich den Allrad unseres Bimobil vornehmlich dann, wenn mein 2 T Anhänger mit den Mopeds hinten dran hing. Das war der matschpampe SP in Greding als ich durch die Pampe für ein nettes Plätzchen unbedingt einen Hang hoch wollte 🙂
Oder mit Anhänger durch eine tiefe Wiese am Berg hoch musste…
Hier war die Untersetzung aber weitaus wichtiger, den Allrad hätte ich ansonsten nicht gebraucht, glaub ich jedenfalls. Dann noch einmal, als ich ein Wohnmobil von einer matschigen Wiese raus gezogen hatte und einige Strecken in Kanada und den USA die ohne Allrad nicht möglich gewesen wären.
Die Tage im Schnee, da kam das Spielkalb im Manne durch 🙂
Überholen durch den tiefen Schnee in der Fahrbahnmitte, einfach Gas und das Bimobil zieht seine Bahn. Mal ein wenig Rutschen in Kurven provoziert, geil, wie die 5 Tonnen mit dem Allrad zu händeln sind 😀

Fazit:

Hauptsache Heckantrieb, am Besten mit Sperrdifferential. Brauchen tut unsere Zielgruppe den Allrad prinzipiell auch dann nicht, wenn wir den Asphalt verlassen. Es ist aber schön den Allrad für einige Situationen zu haben, das gibt auch ein Gefühl der Sicherheit. Wichtiger für diese/unsere Zielgruppe ist das Beiwerk mit dem verbesserten Fahrwerk, die erhöhte Bodenfreiheit und die Untersetzung.

  • Der steile feinschottrige Weg, geht vielleicht ohne mit Sperre, aber ist mit Allrad einfacher.
  • Die steile feinschottrige oder glitschige Abfahrt, geht ohne, aber mit ist sicherer weil sich die Bremskräfte des Motors gleichmäßig verteilen.
  • Die matschige Wiese, geht mit Sperre ohne, ist aber mit Allrad problemloser und dank Untersetzung einfacher.
  • Im Schnee, geht ohne, aber ist mit Allrad sicherer und vor allem problemloser.
  • Ein Überhang von 1,90m wie bei uns und ein Radstand von 3,50m ist schon grenzwertig um auch nur hügelige, tiefe dellige Wiesen und Feld-/Waldwege zu befahren. Bei größeren Werten lohnt sich die Anschaffung IMHO eher nicht, da die Wege ob des geringen Böschungs- und Rampenwinkels kaum befahrbar sind.
  • Nach- / Aufrüsten mit einem teuren Allrad z.B. von Oberaigner oder Iglhaut oder ein Iveco lohnt sich nur dann, wenn auch der Aufbau den Belastungen gewachsen ist.  Das Gesamtkonzept des Aufbaus muss auch OffRoad zulassen. Man sollte vornehmlich Ziele und Wege im Auge haben wo die Technik auch genutzt werden kann. 
    …und man den Mut hat, diese Strecken zu befahren 🙂

Da ist einzig die Frage, was einem dies wert ist, beim Sprinter kostet der Allrad z.Zt. > 10.000 Euro (Stand 2015).
Mir war es das wert und möchte nie mehr ohne! Wenn ich die wenigen Fälle auf die weiteren Jahre hochrechne, hätte ich mich tierisch geärgert wenn ich den Einen oder Anderen Weg hätte nicht befahren können!

Update Dez. 2017:
Wir sind jetzt seit 8 Monaten in Nordamerika unterwegs. Die Amerikaner haben andere Vorstellungen davon, was befahrbar ist und was nicht. Die Wohnmobile (RV) sind mit starken Motoren ausgerüstet, hochbeiniger und am Heck abgeschrägt. Die kommen auch dort hin, wo europäische Wohnmobile nicht mehr hin kommen.
“Roads” sind meist nur Wellblechpisten wo auch mal eine “Wash” zu durchfahren ist, selbst die Zufahrten auf Campgrounds sind oft übel.
Die Amerikaner haben auch andere Vorstellungen von Steigungen (siehe Bericht Allrad an Steigungen), auch auf Schotter. Tiefe frontgetriebene Wohnmobile haben da keine Chance.
Rund 2.000 km Piste haben wir nun abgespult, ohne unseren Allrad und noch wichtiger, die Untersetzung wären uns viele Strecken verwehrt geblieben. Ich rede nicht von OffRoad, sondern von normalen Roads und Campground-Zufahrten.
Eben dafür hatten wir unseren Allrad zugelegt, um auch mit unserem großen Nichtexpeditionsmobil dort hin zu kommen, wo man mit einem “normalen” europäischen Wohnmobil nicht hin kommt. Es wäre schlicht zu schade gewesen, einen solchen Aufwand für eine solche Reise zu unternehmen und sich die richtigen Sehenswürdigkeiten entgehen lassen zu müssen.

Update Nov. 2020:
Wer sich mehr für OffRoad interessiert, da gehören zum 4×4 Allrad auch die Differententialsperren dazu, siehe Bericht Differentialsperren in Allrad-Fahrzeugen->